Es ist Deutschlands größte Maikundgebung 2010. Sie findet in Schweinfurt statt, nicht in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München. Angemeldet von der DGB Region Schweinfurt- Würzburg, ausgerichtet vom Bündnis gegen den Naziaufmarsch. Es ist ein beeindruckendes Bekenntnis einer Region für Demokratie und Toleranz.
Es ist Samstag morgen 8.45 Uhr, als ich in den Wehranlagen ankomme. Zuvor war ich kurz am Zeughaus. Dort soll die Kundgebung stattfinden. Meine Kollegin Steffi Pfeuffer und IG Metall Sekretär Jens Öser haben den Aufbau im Griff. Alles verläuft planmäßig. Ich hoffe, dass das Wetter hält und auf 5000 Demonstranten.
Auf dem Weg durch die Stadt wird mir klar, dass dies kein gewöhnlicher 1. Mai in Schweinfurt. Polizeieinsatzkräfte wohin ich schaue. Straßensperrungen, Bereitschaftspolizei, Mannschaftswägen überall. Die Zeichen stehen auf Obacht.
Der Erste bin an den Wehranlagen nicht. Einige Jugendliche sind ebenso schon da, wie die Polizei, die einen hervorragenden Job machen sollte, an diesem Tag, der in die Stadtgeschichte eingehen wird. Doch davon träumte ich zu dieser Uhrzeit noch nicht. Mit vielen Leuten sprechen, die Stimmung wahrnehmen, unsere Ordner zusammentrommeln, Absprachen mit der Polizei treffen. Zwischendurch Interviews geben. Das war die Aufgabe bis etwa 9.45 Uhr. Da waren es schon drei- oder viertausend. Doch es kam noch viel gewaltiger. In den nächsten zwanzig Minuten sollten Menschenströme über die Maxbrücke zu unserem Treffpunkt Wehranlagen laufen. Kurz vor 10.00 Uhr schaute ich in überfüllte Wiesen um den Springbrunnen und der Strom riss nicht ab.
10.05 Uhr dann der Abmarsch über die Maxbrücke in Richtung Zeughaus. Mit dem Fronttransparent „Schweinfurt ist bunt“ voraus, setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Mir lief es kalt und heiß den Rücken hinunter als rechts und links die Menschen applaudierten, als wir vorbei gingen. Neben mir OB Sebastian Remelè, der seinen 1. Arbeitstag als OB Schweinfurts nicht hätte besser begehen können und Dekan Fries, der die katholische Kirche repräsentierte. Der Blick nach vorne gerichtet passierten wir den Marktplatz, die Heilig- Geist- Kirche, Schillerplatz, Jägersbrunnen, Rossmarkt. Von dort ein Blick hunter zum Albrecht- Dürer- Platz. Dort liefen immer noch Menschen- „Wahnsinn“ ging es mir durch den Kopf, wie viele mögen das sein?
Am Zeughaus sicher angekommen wurde die Größe des Zuges langsam sichtbar. Schnell füllte, überfüllte sich der Zeughausplatz, der etwa 5000 Menschen fasst. Gerade mal die Hälfte des Zuges war angekommen. Auf 10 000 lauteten die Schätzungen von Medien, Veranstalter und Passanten gleichermaßen. Selbst die Polizei sprach von mindestens 8000!
Ein beeindruckendes Bild zeigte sich. Das Wetter hielt. Nach Erledigung einiger organisatorischer Kleinigkeiten eröffnete der 2. Bevollmächtigte der IG Metall, Peter Kippes, die Kundgebung mit der Begrüßung der 80 Bündnispartner. Nach der Nennung jedes Einzelnen Applaus und Gejohle in der Menge- großartig! Die anschließenden Reden erweckten den Eindruck, als wären sie im Detail aufeinander abgestimmt. Sie waren es nicht! Sie ergänzten sich jedoch passgenau. Der Münchener KZ Überlebende Ernst Grube redete eindrucksvoll über seine Erfahrungen mit den Nazis und seinen Schlussfolgerungen. Er kritisierte dabei auch die Bundesregierung und ihre Afghanistan- Politik. Lang anhaltender Jubel nach seiner halbstündigen Rede war im gewiss. Auch die Vorsitzende des Integrationsbeirats Ayfer Fuchs, OB Sebastian Remelé und Dekan Oliver Bruckmann sprachen hervorragend. Dekan Bruckmann ging sehr dabei sehr selbstkritisch mit der der Rolle der Kirchen im Hitler- Deutschland um, OB Remelé stärkte allen Migranten klar den Rücken. Nach diesen tollen Redebeiträgen steckte ich mein Manuskript weg. Einfach die Emotionalität des Moments einfangen, dachte ich mir. Mehr ist nicht mehr zu tun. Ich denke dies gelang mit einem kurzen, sehr persönlichen Beitrag. Peter Kippes schloss die Kundgebung gegen 12.40 Uhr. Da begann es zu regnen. Richtig. Der Naziaufmarsch sollte um 13.00 Uhr beginnen.