Pfingstsonntag dreivierteldrei. Fünf Minuten bin ich nun am Treffpunkt Volksfestplatz, wo ab 15 Uhr die Fahrgemeinschaften von „Schweinfurt ist bunt gen Stammheim starten sollen. Auto um Auto kommt angefahren. Zum Teil sind sie schon voll besetzt, der größere Teil aber sitzt zunächst alleine im PKW.
Gut 40 Schweinfurterinnen und Schweinfurter nehmen das Angebot an und bilden Fahrgemeinschaften. Andere machen sich per Fahrrad auf den Weg, wieder andere fahren direkt nach Stammheim. Gut 100 Leute werden es sein, die dem „Schweinfurt ist bunt“ zuzurechnen sind. Darunter Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Christsoziale, Linke, Grüne, Freie Wähler, eine stattliche Anzahl aus der alevitischen Gemeinde, Kirchenvertreter, Frauenrechtlerinnen und Leute, die sich gegen Nazis engagieren wollen und keiner Gruppierung zuzurechnen sind.
Am Ortsschild Stammheim dann die erste Kuriosität. Auf der rechten Seite ist unschwer ein großer Parkplatz zu sehen, auf dem schon viele Autos stehen. Benutzen dürfen wir diesen nicht, da er den Besuchern des Stammheimer Militärmuseums vorbehalten ist. Die zweite Kuriosität, ereignet sich dann sofort nach unserer Ankunft am Dorfplatz „Weiher“, wo sich Gottesdienst und Parteizentrale der Neonazis gegenüber stehen. Während „Die Rechte“ ein großes Transparent aus den Fenster gehängt hat, haben die Stammheimer direkt gegenüber ein Transparent mit der Aufschrift „Stammheim ist bunt“ zwischen zwei Bäume gespannt. Wir tragen unser Transparent mit der Aufschrift „Schweinfurt ist bunt“ vor uns her. Kaum angekommen werden wir vom Leiter der Stammheimer Ordner aufgefordert das Transparent einzurollen „weil es eine politische Botschaft beinhaltet und hier ein Gottesdienst stattfindet, wo politische Botschaften nichts zu suchen haben“. Neben uns ergeht es Solidaritätsabordnungen aus Sennfeld und Volkach ähnlich. Kopfschütteln ist das Harmloseste was man in dieser Situation tun kann. Nach kurzen aber heftigen Wortgefechten mit dem Ordnerchef entschied man sich, ihn zu ignorieren.
Über 1000 Besucher versammelten sich zur Andacht am Weiher mitten im Dorf. Wir standen mit anderen Bündnisses unmittelbar daneben. Kurz nach Beginn des Gottesdienstes schallten rechtsradikale Propagandareden über den Platz. Beiträge der Andacht gingen in diesen Minuten auch deshalb unter, weil die dort verwendete Tonanlage einfach unglaublich leise und schlecht war. Die Provokation, die aus dem Hof der Parteizentrale der Rechtsradikalen kam, verfehlte ihre Wirkung nicht. Etwa drei Dutzend junge Antifaschisten und ebenso viele aus unserer Gruppe begaben sich zur Hofeinfahrt und skandierten „Nazis raus“. Dadurch sah die Polizei die Andacht gestört und kesselte die aktiven Widerständler ein. Inzwischen drang laute Nazi-Musik aus dem Innenhof. Weitere Provokationen aus den Fenstern der Parteizentrale folgten. Dabei war es schon ein seltsames Gefühl als absolut friedlich demonstrierende Gemeinschaft von der Polizei eingekesselt zu werden. Mehr noch. Der Einsatzleiter der Polizei hatte entschieden die Gruppe den jungen Antifaschisten Platzverweise zu erteilen. Nach Interventionen unsererseits nahm die Polizei von diesem Vorhaben Abstand. Im Gegenzug wurde zugesagt weitere Sprechchöre zu unterlassen, solange die Andacht noch nicht zu Ende ist. Nazi-Musik war – inzwischen gedämpft – aber immer noch deutlich zu hören. Eigentlich paradox: Eine Andacht, die gegen die Eröffnung der Parteizentrale „Die Rechte“ gerichtet ist, verhindert die lautstarke Auseinandersetzung anderer Gegendemonstranten der Zivilgesellschaft mit den Nazis und schützt sie damit.
Nach dem Gottesdienst löste sich die Menschenansammlung zügig auf. Auch wir traten den Heimweg an. Nach all den Vorfällen mit durchaus gemischten Gefühlen. Zu einem Schluss kamen wir: wenn Stammheim sich erfolgreichen wehren will, ist das Zusammenführen des gesamten Widerstandes nötig. Spalten schadet.